jeden Sonntag um 14.00 versammeln sich Menschen im Wald von Gorleben unter Kreuzen zu einer etwa halbstündigen Andacht. Die Menschen sitzen auf zwei grob gezimmerten Holzbänken, als Sitzunterlagen dienen mit Stroh gefüllte alte Kartoffelnetze. Alles, was für die Andachten gebraucht wird, Liederbücher, eine Kerze im Glas und die Strohsäcke befinden sich in einem kleinen Holzverschlag und wird zu den Andachten herausgeholt und verteilt.

Das Prinzip, nach dem diese Andachten gestaltet werden, ist ungewöhnlich. Es gibt eine Sprecherin des Gorleben Gebetes, und die Sprecherin spricht die TeilnehmerInnen und die Menschen, die sich zum Freundeskreis des Gorleben Gebetes zählen, an und bittet, sie eine Andacht zu gestalten. So füllt sich dann alle halbe Jahre wieder der Andachtskalender. Jemand aus der Runde schreibt ein Geleitwort, und dann wird der Kalender gedruckt, verteilt, auf die Internetseite gestellt. Jeden Samstag erscheint eine Ankündigung in den kirchlichen Nachrichten der Lokalzeitung.

Immer wieder neue Impulse

So kommt es denn, dass jeden Sonntag eine andere Frau, oder ein anderer Mann das Gorleben Gebet gestaltet. Jede/r wählt das Thema seiner Andacht vollkommen selbstständig. Auf diese Weise erhalten wir alle Impulse zu ganz unterschiedlichen Themen und Gedanken. So ergibt sich auch immer wieder eine gewisse Spannung, und so verlässt jede/r die Andacht wieder mit neuen Anregungen. Es gibt ein eigenes Liederbuch, das ebenfalls im Holzverschlag verwahrt wird. Es wechseln sich also während der Andacht immer wieder Gesang und das Vortragen der Gedanken ab. Beendet wird dieser Teil mit einem Segen und einem Vater Unser.

Ja und danach, danach gibt es die Einkehr in ein nah gelegenes Gasthaus, in dem das Gorleben Gebet bei Kaffee und Kuchen und oft noch sehr vertiefenden Gesprächen ausklingt.

Tradition seit 1988

Das geht nun schon ununterbrochen seit 1989 so, meistens kommen um die zwanzig Menschen zusammen. Da alles offen ist, kommen Menschen nur einmalig oder öfter, viele finden im Gorleben Gebet so etwas wie eine religiöse Heimat. Auch UrlauberInnen kommen und sind oft so angerührt von dieser anderen Art, sich über Gott und die Welt zu verständigen.

Begonnen hat alles 1988 mit dem Kreuzweg für die Schöpfung von Wackersdorf nach Gorleben. Das Kreuz wurde hier in einer Andacht in Empfang genommen. Das Kreuz steht immer noch da, brüchig, angelehnt, verwittert ,mehrfach ausgebessert, aber es steht immer noch da. Der Graf von Bernstorff hat ein kleines Waldstück als Andachtsplatz zur Verfügung gestellt, von hier aus sehen alle auf den Turm des Erkundungsbergwerkes. Ironischerweise bilden die Streben auf diesem Turm ein grünes Kreuz!

Stimme im Widerstand

Das Gorleben Gebet ist all die Jahre eine der Stimmen im Gesamtwiderstand gewesen. Hier sind die ChristInnen weder die WortfüherInnen im Widerstand , noch die ewigen BedenkenträgerInnen. Nein, wir waren mit unserer Stimme ein ganz natürlicher Teil des Gesamtwiderstandes. Während der Castor Transporte war das Gorleben Gebet ein Punkt an dem sich mehrere Hundert DemonstranTinnen versammelt haben, die hier noch einmal Einkehr hielten, einen geschützten Raum hatten, um sich zu besinnen auf die anstehenden anstrengenden Tage. Bewegend war für uns alle der Segen, der jedem Einzelnen auf Wunsch zugesprochen wurde. Das Gorleben Gebet war dann auch der Ort, an dem die Konfliktmanager der Polizei ein anderes Bild von den DemonstranTinnen und unserem Anliegen gewinnen konnten.

Das wiederum war dann für die Gespräche zwischen Polizei und VerterInnen der Kirche und anderen Menschen der Zivilgesellschaft hilfreich, um Gespräche über die Verhältnismäßigkeit, über Polizeigewalt während der Castortransporte zu führen. Diese Gespräche haben letztendlich dazu beigetragen, dass die schweren Verletzungen während der Castor Einsätze zurückgingen. In vielen Gesprächsrunden mit PolitikerInnen und KirchenvertreterInnen konnten die Sprecherin des Gorleben Gebetes teilnehmen und den PolitikerInnen und auch KirchenvertreterInnen eine andere Sicht der Dinge nahe bringen.

Das Gorleben Gebet besteht weiter

Das Gorleben Gebet ist und bleibt für viele Aktive im Widerstand ein kleiner Ruhemoment, ein sich ausrichten auf einer andere Ebene, eine andere Ruhe, eine andere Art der Gemeinschaft erleben. In der beides sein darf, die geistige Auseinandersetzung und auch der sinnliche Genuss von Kaffee und Kuchen.

Marianne Fritzen, die langjährige Vorsitzende der Bürgerinitiative, die damals das Kreuz aus Wackersdorf in Empfang genommen hat und die Andacht dazu gehalten hat, war in ihren letzten Lebensjahren fast immer beim Gorleben Gebet. Sie bemerkte einmal kurz und knapp:“ Ich brauche das Gorleben Gebet für mein Wohlbefinden.“

Ja, und das Gorleben Gebet besteht weiter, obwohl Gorleben als Endlagerstandort ausgeschieden ist. Zum Glück hatten wir uns schon lange verabredet, dass wir beieinander bleiben. Erst einmal finden wir, dass das Danken und Loben, genau so viel Zeit in Anspruch nehmen darf, wie das Ausdrücken der Besorgnis. Dann gibt es die persönliche Verbundenheit untereinander und die vielen, vielen Themen, die uns alle weiter angehen. Eins davon war und ist die Verbundenheit mit dem Rheinland und dem Einsatz dort gegen die Zerstörung der Dörfer.

Also bleiben wir dabei. So Gott will und wir leben, treffen wir uns wieder um 14.00 am Sonntag in Gorleben zum Gorlebener Gebet und jede/r ist eingeladen dazu zu kommen.

Elisabeth Hafner-Reckers
für das Gorleben Gebet.