19. Etappe Hamm – Lünen 24. Juli

  • Dieser Blogeintrag wird erst am 27. & 28. Juli (also am 4. & 5. Tag nach dem Polizeieinsatz bei Hamm) geschrieben, vorher sind wir einfach nicht dazu gekommen. Wir waren alle voll und ganz damit beschäftigt, uns als Einzelpersonen und als Gruppe  emotional zusammen zu halten, unseren Pilgerweg zu bewältigen, die nötige Pressearbeit und politische Hintergrundarbeit zu machen.
  • Die Tage nach dem Polizeieinsatz bei Hamm finden im Erleben des Autors gleichzeitig auf drei Ebenen statt, die einerseits nichts miteinander zu tun haben. (Es ist, als würde man gleichzeitig drei Filme ansehen,  die völlig unzusammenhängend nebeneinander her laufen.) Und die andererseits alles miteinander zu tun haben, sich gegenseitig stark beeinflussen, und sich gegenseitig absurd machen.
    1) Praktische Ebene: Weitergehen des Pilgerweges
    2) Innere Ebene: Verarbeitung des Polizeieinsatzes
    3) Politische Ebene: Kommunikation mit Presse, Kirche, Jurist*innen…
  • 1) Praktische Ebene: Weitergehen des Pilgerweges
  • Wir sind als Gruppe zwar noch etwas durch den Wind, schaffen es aber, uns selbst so weit zusammen zu halten, dass wir den Weg weiter gehen, die heutige Etappe bewältigen können. – Die Gruppe schöpft Kraft aus dem puren Willen, der Polizei nicht den Triumpf zu geben uns klein gekriegt zu haben.
  • Gruppenfoto vor dem Weltladen und den Büroräumen der FUgE, die uns in Hamm sicherer Hafen und großartige Unterstützung waren. DANKE!

  • Wir gehen immer entlang des Datteln-Hamm-Kanals von Hamm nach Lünen. Die Landschaft wird Stunde für Stunde ruhrgebietartiger.  Es ist immer mindestens ein Kraftwerk zu sehen, oft mehrere. Meist handelt es sich um Kohlekraftwerke.

  • Vor den ersten Kraftwerken posiert die Gruppe noch. Doch schon bald erfährt dieses Bildmotiv eine inflationäre Entwertung.

  • Abends kommen wir im Gemeindehaus der St.-Marien-Kirchgemeinde in Lünen unter. Eigentlich soll uns hier die LIGA Lünen (Lüneburger Initiative gegen globale Armut) von ihrer Arbeit berichten. Aber das Thema Polizeieinsatz Hamm drängt sich in den Vordergrund.
  • 2) Innere Ebene: Verarbeitung des Polizeieinsatzes
  • Bei vielen von uns wirkt heute noch der Schock-Schutz. Der Schutz sorgt dafür, dass die Emotionen unterdrückt werden und mensch in einer Gefahren- bzw. Streßsituation funktioniert und handlungsfähig bleibt.
  • Natürlich sind unsere Erlebnisse während des Polizeieinsatzes das Hauptthema der meisten Gespräche während des Wanderns und Pausierens. Wir versuchen zu verstehen, was da passiert ist. Warum die Polizei so absolut unzugänglich für all unsere Deeskalationsversuche war. Es kommen immer neue Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln und persönlichen Erlebniswelten hoch.
    Aber für viele von uns ist es ein wenig, als würden sie über einen Film erzählen, den sie gesehen haben.
    Andere haben keinen Schockschutz mehr. Ihre Emotionen kommen ungefiltert hoch.
  • Beate Haupt, der am Vortag von der Polizei “KO gestoßene” Rentnerin, haben die Ärzte im Krankenhaus verboten heute mitzulaufen. Sie fährt im Begleitfahrzeug mit, das zum Glück ein zum Wohnmobil ausgebauter VW-Bus ist, denn sie kann zumindest bis etwa zur Kaffeezeit kaum aufrecht sitzen, ohne dass ihr schwindelig wird. Offensichtlich hat sie eine Gehirnerschütterung. Sie liegt so oft und so lange es geht auf dem Bett des Wohnmobils.
  • 3) Politische Ebene: Kommunikation mit Presse, Kirche, Jurist*innen…
  • Zum Glück werden wir heute von Polizeistreifen und ähnlichem offensichtlich gemieden.
  • Der Versuch von Michael Friedrich auf der Polizeiwache in Hamm das von der Polizei aus seinem Auto entwendete Handy zurück zu bekommen oder wenigstens ein Beschlagnahmeprotokoll zu erhalten scheitert komplett. Die diensthabenden Beamten auf der Wache weigern sich hier tätig zu werden: “Das kann nur der Sachbearbeiter machen.”, “Auf gar keinen Fall heute.”, “Sie geben also den Besitz des Handys zu?”, “Nein, das kann nur der Sachbearbeiter machen.”, “Nein, auf jeden Fall nicht heute.”
  • Unsere Pressemitteilung und Richtigstellung der Falschdarstellung der Ereignisse durch die Hammer Polizei gehen raus. Das Pressetelefon steht nicht mehr still.
  • Im Laufe des Tages wird klar, dass nicht nur die einzelnen Gemeindepfarrer*innen, bei denen wir zu Gast waren, uns unterstützen. Auch die evangelische Kirche im Rheinland und in Niedersachsen als Ganzes stellt sich voll und ganz hinter uns.
  • Eine höhere Polizeidienststelle versucht uns per Telefon dazu zu überreden, unseren Kreuzweg doch als politische Versammlung anzumelden. Und das auch noch unter Nennung der absolut falschen Pragraphen (einer gilt zum Beispiel ausdrücklich nur für Saalveranstaltungen). Als wir das ablehnen, weil wir uns damit selber den religiösen Charakter absprechen würden, und ihnen ihre juristischen Fehler auflisten, melden sich zumindest diese Polizeidienststelle nie wieder bei uns.